High School in Kanada

Lara - Ontario, Casselman

Über 5.000 km entfernt von zuhause: Als ich aus dem Flugzeug aussteige, werde ich langsam nervös. Seit ich weiß, dass ich ein Auslandssemester in Kanada verbringen werde, hat mich die Vorfreude gepackt. Am liebsten wäre ich sofort nach der Bewerbung dort hin geflogen, aber jetzt als die erste Begegnung mit meiner Gastfamilie immer näher rückt, wird mir schlagartig klar, dass ich die nächsten fünf Monate in diesem fremden Land mit mir fremden Menschen verbringen werde.

Ich trete aus dem Ausgang und – nichts. Ich sehe niemanden, der auf mich wartet, niemanden, der so aussieht, wie auf den Fotos, die mir zugesandt worden sind. Als ich den langen Flur langsam weitergehe, immer noch auf der Suche nach mir bekannten Gesichtern, höre ich plötzlich jemanden meinen Namen rufen. Erleichtert drehe ich mich um.

Meine anfängliche Nervosität war völlig unbegründet, sofort werde ich herzlich begrüßt und mit Fragen gelöchert, zu meinem Flug, meinem Musikgeschmack, und dem Wetter. Denn hier ist es kalt, im Norden Amerikas. Zwar herrschen statt angesagten -40°C nur -20°C, was insgesamt auf einen verhältnismäßig warmen Winter hinweist, aber ich friere. Zum Glück gewöhne ich mich relativ schnell an das Wetter. Umso länger ich hier bin, umso mehr kommen mir diese Minusgrade normal vor. Und ab und zu, wenn wieder mal ein Schneesturm tobt, fällt sogar die Schule aus.

Insgesamt kommt es in der Schule häufiger vor, dass aufgrund verschiedener Veranstaltungen kein Unterricht stattfindet. Bei Tanzworkshops und Schneeunternehmungen lerne ich auch viele neue Leute kennen, so dass mir schon bald auf dem morgendlichen Flur ein "Allô" und desweilen sogar ein "Guten Tag" entgegenschallt.

Die Menschen hier sind nicht nur wesentlich entspannter und lockerer als in Deutschland, sondern auch viel offener. Auch Mitschüler, die ich kaum kenne, erzählen mir gerne aus ihrem Leben, ohne darauf zu achten, wie gut sie mich kennen. So ist es nicht schwer, Bekanntschaften zu machen, aber um Freunde zu finden, mit denen man auch mal nachmittags etwas unternimmt, braucht es doch etwas Zeit. Hinzu kommt, dass fast alle Jugendlichen, sobald sie alt genug sind, anfangen zu arbeiten: nach der Schule, am Wochenende – sogar in den Ferien.

Was allerdings noch eine größere Rolle spielt als das Arbeiten, ist der Sport. Und sobald der Schnee taut, und das Thermometer 10°C mehr anzeigt, beginnt der Draußensport. Mit der Joggingtruppe trainiere ich für den 5km-Lauf beim Ottawa Marathon, beim Fußball verbringe ich viel Zeit mit meinen Freundinnen (obwohl wir kein einziges Mal gewinnen, haben wir unglaublich viel Spaß), und im Leichtathletikkurs schmeißen wir uns beim Weitsprung in den schneenassen Sandgraben. Langsam wird auch das Wetter etwas besser – und damit die Stimmung. Mitte Mai, als ich in Toronto ein paar Tage mit meiner Gastfamilie verbringe, ist es sogar so warm, dass man mit kurzen Hosen herumlaufen kann – aber gleichzeitig merke ich, wie schnell die Zeit doch vergeht: nur noch knapp anderthalb Monate bleiben mir, gerade jetzt, wo ich mich richtig eingelebt habe. Und auch die letzte Zeit vergeht wie im Flug.

Ich habe ein zweites Zuhause gefunden, viel habe ich gelacht in meiner neuen Familie, und nicht nur ich möchte nicht gehen – auch meine Gastfamilie würde mich gerne behalten. Es werden Witze gemacht, dass meine Eltern wohl ganz schön überrascht wären, wenn ich nicht am Flughafen ankäme, und sie dann erfahren würden, dass meine Gastfamilie mich adoptiert hätte. Aber es hilft alles nichts, der Abschied rückt näher.

Letzte Unternehmungen zusammen mit meinen Freunden werden geplant – Poolnachmittage und Strandtouren – und dann muss auch schon mein Koffer gepackt werden. Ich werde mit Geschenken regelrecht überschüttet, und muss mir sogar noch einen neuen Koffer kaufen, um all die Dinge mitzunehmen, die mir in dem Semester wichtig geworden sind. Das Verhältnis von Schülern und Lehrern ist ein sehr freundschaftliches, sodass ich zum Abschied von vielen Lehrerinnen gedrückt werde.

Nach einer letzten Reise zu einem Schulfreund, der ein paar Tage vor meinem Abflug graduiert, ist es soweit. Familie und Freunde sind zum Flughafen gekommen, um mich zu verabschieden. Meine kleine Gastschwester fängt an zu weinen, ich möchte sie trösten, aber ich weiß nicht wie. Auch als ich schon durch die Sicherheitskontrolle gegangen bin, winken mir noch alle hinterher. Erst als ich im Flugzeug sitze, merke ich wie sehr mir alle jetzt schon fehlen, und mir wird klar, dass ich sie so schnell nicht mehr wiedersehen werde. Aber ich habe versprochen nächstes Jahr wiederzukommen. Und was man verspricht, das hält man auch.